Gebäudeklima

Thermische Simulation und Behaglichkeit

Heizen und Kühlen – Kühlen statt Heizen

Mittwoch, 07.12.2022

Das am 13. Juli vom Bundeswirtschafts- und Bundesbauministerium vorgestellte Sofortprogramm mit Klimaschutzmaßnahmen für den Gebäudesektor veranschaulicht einen Paradigmenwechsel [1]. Das politisch motivierte Streben nach Unabhängigkeit von fossilen Energieträgern und emissionsfreier Energieerzeugung sowie immer heißer werdende Sommer beschleunigen das Umdenken für die Planung von Heiz- und Kühlsystemen in der Gebäudetechnik. Was sind hierzu wichtige Schritte?

Rendering der Wohnanlage „Polychrom“ in Ingelheim. Projekt 1 wird ein Niedrigenergiegebäude, das unter anderem verfügt über: Fußbodenheizung und passive Kühlmöglichkeit durch Geothermie und Wärmepumpe, Photovoltaikanlage für die Stromerzeugung, dezentrale Zuluft und zentrale Abluft, gesundheitsverträgliche und umweltschonende Baustoffe und Baukonstruktionen.
Quelle: Nowak, Felix, bb22 architekten und stadtplaner Maheras Nowak Schulz Wilhelm Part mbB, Frankfurt am Main, 2022
Rendering der Wohnanlage „Polychrom“ in Ingelheim. Projekt 1 wird ein Niedrigenergiegebäude, das unter anderem verfügt über: Fußbodenheizung und passive Kühlmöglichkeit durch Geothermie und Wärmepumpe, Photovoltaikanlage für die Stromerzeugung, dezentrale Zuluft und zentrale Abluft, gesundheitsverträgliche und umweltschonende Baustoffe und Baukonstruktionen.

Spätestens seit den jüngsten Ereignissen wird klar: Eine Beschränkung der Auslegung gebäudetechnischer Konditionierungssysteme rein auf den Heizbetrieb und die Wärmeversorgung aus fossiler Energie wird so nicht weiter gehen. Denn technische Systeme müssen zukünftig einen ganzjährig komfortablen Betrieb emissionsfrei gewährleisten. Dafür sind insbesondere Konstruktion und Anlagentechnik aufeinander abzustimmen. Das gelingt mit einer entsprechenden Simulation.

Unter dem Begriff „Klimaresiliente Quartiere“ rückt zudem der Fokus auch bei Wohngebäuden vom winterlichen Heizfall auf das sommerliche Kühlen. Beides zusammen ist in vielen Fällen durch Wärmepumpenheizungen mit Anschluss an die Niedertemperatur-Geothermie realisierbar. So lässt sich der sommerlichen Überhitzung durch passive Kühlung nachhaltig entgegenwirken. Durch die geothermale Kühlung, ohne den Einsatz von Kompressionskälte, können Gebäude thermisch komfortabel und energieeffizient betrieben zu werden.

Die Leistung einer Flächenkühlung ist zwar begrenzt, um Tauwasserausfall an der Oberfläche zu vermeiden, dennoch macht eine Absenkung der Raumtemperatur um einige Kelvin an heißen Tagen einen spürbaren Unterschied. Eine vergleichbare Wirkung geht von massiven Gemäuern aus, deren thermische Speichermasse Wärme aufnimmt und so einer Überhitzung von Räumen in heißen Sommerperioden um einige Tage verzögern kann. Die passive Rückkühlung der thermischen Speichermasse durch effektive Nachtlüftung kann diese Wirkung verstärken.

Nachhaltige Gebäude müssen auf allen Ebenen für einen energiesparenden Betrieb ausgelegt sein. Mit Bauherren sollte hierfür das geplante Vorgehen bei der Projektierung eines Heiz- und Kühlsystems frühzeitig vereinbart werden. Wichtige Arbeitspakete sind dafür in Abbildung 2 in den Planungsprozess nach Honorarordnung für Architekten und Ingenieure (HOAI) eingeordnet.

Projektierung eines Raumflächenheiz- und Kühlsystems mit Nutzung der Geothermie zum Heizen und Kühlen.
Quelle: [2], [3]
Projektierung eines Raumflächenheiz- und Kühlsystems mit Nutzung der Geothermie zum Heizen und Kühlen.

In der HOAI-Leistungsphase eins sind die Anforderungen und Wünsche des Bauherrn zu erörtern und die Gegebenheiten des Grundstücks zu klären. Die Entscheidung, welcher Energieträger und welches Konditionierungskonzept für die Beheizung, Kühlung und Belüftung des Gebäudes zum Einsatz kommt, sollte in der Leistungsphase zwei gefällt werden. Als Basis sind dafür die Vordimensionierung, eine Potentialanalyse zur geologischen Eignung des Grundes, die prinzipielle Genehmigungsfähigkeit, finanzielle Zuschüsse sowie die Errichtungs- und Betriebskosten zu ermitteln.

Die Auslegung des Wärmeübergabesystems erfolgt nach dem Heizfall. In der HOAI-Leistungsphase drei wird die Raum- und Gebäudeheizlast nach der Entwurfsfestschreibung mittels stationärer Bilanzierung gemäß DIN EN 12831 „Energetische Bewertung von Gebäuden“ [3] berechnet. Zu diesem Zeitpunkt sollten die Grundrisse fixiert und die bauphysikalischen Eigenschaften der opaken und transparenten Bauteile klar sein. Die Bestandteile des Verfahrens sind in Abbildung 3 dargestellt.

Elemente der Heizlastberechnung, Teil 1 von 2.
Quelle: [2], [3]
Elemente der Heizlastberechnung, Teil 1 von 2.
Elemente der Heizlastberechnung, Teil 2 von 2.
Quelle: [2], [3]
Elemente der Heizlastberechnung, Teil 2 von 2.

Die Berechnung liefert erstens eine Raumheizlast zur Dimensionierung des Wärmeübergabesystems und zweitens eine Gebäudeheizlast zur Dimensionierung des Wärmeerzeugers. Die Summe aller Raumheizlasten kann die ausgewiesene Gebäudeheizlast deutlich übersteigen, da Wärmeabflüsse in temporär unbeheizte Nachbarräume mit aufgewendet werden müssen. Aus der Dimensionierung des Heizsystems lässt sich die potentielle Kühlleistung ermitteln.

Wenn das Übergabesystem ausgelegt ist, erfolgt die Projektierung des zentralen Wärme- und Kälteerzeugers. Die wichtigsten Größen bei der Auswahl der Wärmepumpen sind die Gebäudeheizlast und der erforderliche Leistungsaufschlag für die Trinkwassererwärmung. Bei der Geothermie ist neben der maximalen Entzugsleistung auch die jährliche Wärmearbeit auslegungsrelevant. Mit dieser Größe wird kontrolliert, dass das Erdreich nicht gefrieren und dabei Sonden beschädigen kann.

Eine hinreichende Prognose der saisonalen Heiz- und Kühlarbeit liefert die thermische Gebäude- und Anlagensimulation. Das numerische Modell der instationären Kühllastberechnung und Auslegung gemäß VDI 2078 [4] bietet die Möglichkeit, den mittleren Wärme- und Kältebedarf einer Heiz- und Kühlzone zu ermitteln. In Abbildung 4 sind die dabei wesentlichen Berechnungsgrößen dargestellt.

Elemente der Kühllastberechnung, Teil 1 von 2.
Quelle: [2], [4]
Elemente der Kühllastberechnung, Teil 1 von 2.
Elemente der Kühllastberechnung, Teil 2 von 2.
Quelle: [2], [4]
Elemente der Kühllastberechnung, Teil 2 von 2.

Die dynamische Gebäude- und Anlagensimulation setzt die Wechselwirkungen zwischen Gebäude, Anlagen- und Regelungstechnik, Außenklima (Klimadatensatz für den jeweiligen Standort) und dem Nutzer in Beziehung. Deshalb ist sie für die Praxis genauer und kann zum Beispiel von einer statischen Kühllast-Ermittlung beträchtlich abweichen. Mit einer dynamischen Gebäude- und Anlagensimulation lassen sich wichtige Informationen zur Performance des Heiz- und Kühlsystems und dessen Wirtschaftlichkeit bereits in frühen Planungsphasen generieren. Besonders aussagekräftig sind die Daten zu Übertemperaturgradstunden mit und ohne Kühlsystem sowie die für das Heizen und Kühlen erforderliche elektrische Arbeit.

Ein spezieller Aspekt ist zu berücksichtigen, wenn für den Heiz- und Kühlbetrieb dasselbe Verteil- und Übergabesystem dienen soll, denn hier muss eine zentrale Umschaltung das System in den jeweiligen Betrieb versetzen. Achtung: Eine Fußbodenheizung kann im gesamten Gebäude erst dann zum Kühlen eingesetzt werden, wenn es niemand mehr zum Heizen benötigt. Je nach Ausrichtung und Auftreten innerer thermischer Lasten kann unter Umständen ein Konflikt zwischen dem verschatteten Nordbereich im Erdgeschoss und exponierten Süd-Westräumlichkeiten im Dachgeschoss auftreten. Hier bietet eine dynamische Simulation deutlich höhere Planungssicherheit als eine stationäre Auslegung, indem realitätsnahe Wetter- und Nutzungsszenarien in der Übergangszeit dargestellt werden und klare Vorgaben für die Parametrierung der Anlagenregelung gemacht werden können.

Eine dynamische Simulation kann auch bei Glasfassaden dazu beitragen, das Raumklima durch passive Maßnahmen zu optimieren. Materialien, Glasqualität, Flächenanteile, Verschattungssysteme sind Faktoren, die unter Berücksichtigung von Gebäudeausrichtung, Geometrie, Nutzung und zeitlicher Varianz aufeinander abzustimmen sind. Durch die Nutzung thermischer Speichermassen lassen sich Kühllasten im Sommer reduzieren, wenn das Bauwerk nachts mit Außenluft durchspült wird.

Fazit

Der Wunsch nach Klimaresilienz rückt auch im Wohnungsbau den Fokus auf das sommerliche thermische Verhalten und die Möglichkeit, bei heißer werdenden Sommern einen komfortablen Betrieb zu gewährleisten.

Flächenheiz- und -kühlsysteme mit Anschluss an die oberflächennahe Geothermie bieten „Kühlenergie zum Nulltarif“, ohne den aktiven Betrieb der Wärmepumpe.

Heizen und Kühlen ohne doppeltes Verteilrohrnetz erfordert ein genaues Verständnis um das thermische Verhalten eines Gebäudes in der Übergangszeit. Dazu trägt eine dynamische Gebäude- und Anlagensimulation bei.

Darüber hinaus kann die Simulation Potentiale für das netzdienliche Lastmanagement im Gebäude offenlegen. Beim „Smart-Grid-Ready-Status“ geht es um die Fähigkeit eines Gebäudes und seiner Anlagentechnik, Energie nach der jeweils im Netz vorhandenen erneuerbaren Strommenge zu verbrauchen. Auch so wird es möglich, ganzjährig mehr fossile Energie durch erneuerbare zu ersetzen.

Welche Komponenten für ein raumklimatisch angenehmes und umweltfreundliches Gebäude einen Mehrwert bringen, lässt sich nur individuell beantworten. Für ein nachhaltiges Planen, Bauen und Betreiben gilt aber grundsätzlich: So viel wie nötig mit so wenig wie möglich.

Dr.-Ing. Klaus Mindrup Geschäftsführender Gesellschafter bauart TGA GmbH & Co. KG 48167 Münster

Weitere Informationen zum Projekt (Abbildung 1) unter: www.polychrom-projekt1.de

Literatur

[1] Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz: (2022), Sofortprogramm mit Klimaschutzmaßnahmen für den Gebäudesektor, Berlin, 14.07.2022.

[2] Mindrup, K: (2020) Raumklimatisierung durch thermisch aktivierte Massivholzelemente – Konzeptentwicklung, Leistungsbetrachtung und Ableitung von Auslegungswerkzeugen, Dissertation, Technische Universität München, München.

[3] DIN EN 12831-1, 2017-09: Energetische Bewertung von Gebäuden – Verfahren zur Berechnung der Norm-Heizlast – Teil 1: Raumheizlast.

[4] VDI 2078, 2015-06: Berechnung der thermischen Lasten und Raumtemperaturen (Auslegung Kühllast und Jahressimulation).

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