Gebäudeklima

Vier Fragen – Sechs Meinungen (Teil 2)

Interviews

Mittwoch, 23.11.2022

Stimmen aus der Branche - Teil 2 mit: Benjamin Köhler, Senior Researcher – Energie & Klimaschutz, Öko-Institut e.V. – Institut für angewandte Ökologie, Freiburg / Dr.-Ing. Holger Neumann, Vorsitzender, Deutscher Kälte- und Klimatechnischer Verein DKV e.V., Hannover / Stijn Renneboog, Stellvertretender Generalsekretär, Eurovent, Brüssel

Quelle: AdobeStock

1. Die Heizungs-Journal Verlags-GmbH wird im September 2022 die erste Ausgabe „KlimaJournal“ herausgeben und damit den Themenkomplex „Raumluftqualität und Gebäudeklima“ publizistisch stärken. Wie lautet Ihre Meinung zur (bewusst provokativen) Aussage „Klimatisieren wird das neue Heizen“?

Benjamin Köhler: Global gesehen wird das Thema „Klimatisieren“ sicherlich an Bedeutung gewinnen. Auch in Deutschland wird das Thema vor allem in urbanen Gebieten und hier für vulnerable Gruppen (ältere und kranke Menschen) durch die Zunahme tropischer Nächte und längerer Hitzeperioden relevanter. Mit Blick auf den Energiebedarf ist aber nicht davon auszugehen, dass „Klimatisieren das neue Heizen“ wird. Auch in Zukunft wird der Energiebedarf für Raumheizung und Warmwasser höher sein als für die Klimatisierung. Wichtig wird in urbanen Gebieten, den sogenannten „Hitzeinseleffekt“ durch intelligente Stadtplanung sowie Gestaltung der Gebäude und des öffentlichen Raums zu minimieren.

Dr.-Ing. Holger Neumann: Im Hinblick auf die Klimaerwärmung und dem damit einhergehenden Bedarf für Raumklimatisierung auch im privatem Bereich ist das keinesfalls eine provokative Aussage, sondern ein durchaus realistischer Blick in die Zukunft. Hierzu muss man nur in südlichere Länder schauen, bei denen Split-Kühlsysteme schon seit Jahren Standard sind. Eine stetig älter werdende Gesellschaft in Kombination mit der klimabedingten Zunahme von Hitzetagen pro Jahr führt auch zu immer mehr Hitzetoten, was den Bedarf ebenfalls erhöhen wird. Ebenso wird die Luftqualität, durchaus auch sensibilisiert durch die Corona-Pandemie, eine wichtigere Rolle spielen, wo auch Betriebe zur Aufrechterhaltung Ihrer Produktivität investieren werden.

Stijn Renneboog: Provokativ, aber wahr. Die Nachfrage nach Raumkühlung wächst schnell. Die Kühlgradtage in der EU haben sich zwischen 1979 und 2021 fast verdreifacht. Dies hat zu einem großen Boom für die Klimatisierung geführt – das wird in den nächsten Jahrzehnten noch schneller wachsen. Aber das Heizen bleibt König: Die Nachfrage nach Raumheizung ist fast überall in Europa viel größer als der Komfortkühlungsbedarf. Deutsche Haushalte nutzten beispielsweise fast 350-mal mehr Energie für das Heizen ihrer Häuser als für die Raumkühlung. Eine vielleicht bemerkenswertere Entwicklung ist daher, dass Dampfkompressionstechnologien auch als Heizungslösungen attraktiver werden. Der Drang zur Dekarbonisierung und Elektrifizierung öffnet die Tür für Wärmepumpen und Klimaanlagen als Alternative zu Brennstoffkesseln.

„Fokus auf klimaangepasste Gestaltung der Städte und Gebäude“, Benjamin Köhler, Senior Researcher – Energie & Klimaschutz, Öko-Institut e.V. – Institut für angewandte Ökologie.
Quelle: Öko-Institut e.V.
„Fokus auf klimaangepasste Gestaltung der Städte und Gebäude“, Benjamin Köhler, Senior Researcher – Energie & Klimaschutz, Öko-Institut e.V. – Institut für angewandte Ökologie.

2. Welche Aspekte kommen Ihrer Ansicht nach in den aktuellen Diskussionen rund um ein behagliches und gesundes Raumklima zu kurz oder werden gar vernachlässigt?

Benjamin Köhler: Der Fokus sollte darauf liegen, durch klimaangepasste Gestaltung der Städte und Gebäude den Bedarf nach aktiver Kühlung zu minimieren: dunkle Oberflächen und große Glasflächen vermeiden, Verschattungselemente (auch durch Bepflanzung) vorsehen. Zur Vermeidung von Hitzeinseln sollten stadtplanerisch Stadtgrün erhalten und ausgeweitet, Frischluftschneisen berücksichtigt und Wasserflächen zur Verdunstungskühlung genutzt werden. Ein gesundes Innenraumklima bringt viele Vorteile mit sich, die in Wirtschaftlichkeitsberechnungen oft nicht berücksichtigt sind. Diese sogenannten „Co-Benefits“ sollten stärker in den Fokus genommen und quantifiziert werden. Auch sollte diskutiert werden, ob höhere Innenraumtemperaturen während Hitzeperioden akzeptabel sind, um Spitzenlasten und Energieverbrauch zu begrenzen.

Dr.-Ing. Holger Neumann: Da aufgrund der Klimaerwärmung die Raumkühlung einen immer größeren Raum einnimmt, aber im Winter nach wie vor ein Heizbedarf besteht, wäre es wünschenswert, Heizen und Kühlen sinnvoll zu kombinieren, was technisch natürlich mit Wärmepumpen schon funktioniert, aber immer noch Potential hat. Ein wenig vernachlässigt wurde in diesem Zusammenhang die Energieversorgung dieser Geräte im Hinblick auf die Nutzung von Speichersystemen, um im Jahreszyklus die Temperaturen ausgleichen zu können und energieeffizienter zu werden. Auch die Abwärmenutzung ist in diesem Zusammenhang zu nennen, die immer noch mangelhaft bei den meisten Anwendungen ist – zum Beispiel Abwärme von Rechenzentren.

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