Gebäudeklima

Vier Fragen – Sechs Meinungen (Teil 1)

Interviews

Mittwoch, 16.11.2022

Stimmen aus der Branche - Teil 1 mit: Prof. Dr.-Ing. Christian Fieberg, Professur für Gebäudetechnik, Westfälische Hochschule Gelsenkirchen Bocholt Recklinghausen / Claus Händel, Geschäftsführer Technik, Fachverband Gebäude-Klima e.V., FGK, Bietigheim-Bissingen / Michael Korte, Produktentwicklung „DDScad“, Graphisoft Building Systems, Ascheberg

Quelle: AdobeStock

1. Die Heizungs-Journal Verlags-GmbH wird im September 2022 die erste Ausgabe „KlimaJournal“ herausgeben und damit den Themenkomplex „Raumluftqualität und Gebäudeklima“ publizistisch stärken. Wie lautet Ihre Meinung zur (bewusst provokativen) Aussage „Klimatisieren wird das neue Heizen“?

Prof. Dr.-Ing. Christian Fieberg: Der Klimawandel und die Erderwärmung finden auch in Deutschland statt. Schon jetzt werden regelmäßig die Auslegungstemperaturen für Heizungen heraufgesetzt. Damit werden zukünftige Heizungen kleiner. Parallel steigen die sommerlichen Temperaturen und die Anzahl von tropischen Nächten. Darüber hinaus werden vereinzelte Hitzetage mit sehr hohen Temperaturen (bis zu 40 °C) auftreten. Dagegen hilft im Bestand die Nachrüstung von Kühlsystemen (meist in Form von Split-Geräten). In Neubauten wird die Frage nach Kühlung zunehmen. Hier sollte zukünftig auch eine aktive oder nachrüstbare Kühlung vorgesehen werden. Das passiert sicherlich nicht sofort und flächendeckend. Dennoch ist ein klarer Trend zu Kühllösungen sichtbar. Nichtwohngebäude, insbesondere Bürogebäude, werden eher starten als Wohngebäude.

Claus Händel: Diskussionen um die Gesundheit und den Klimaschutz, aber auch die heute schon spürbaren Auswirkungen des Klimawandels führen dazu, dass es nicht mehr nur darum geht, eine Raumtemperatur im Heizfall sicherzustellen. Die Nutzer und potentiellen Bauherren setzen sich ergänzend mit Aspekten der sommerlichen Temperaturen (Kühlung), der Raumluftqualität (Mindestlüftungsraten, Schimmelvermeidung, Feinstaub und Luftfilterung) und der sommerlichen wie winterlichen Raumluftfeuchtigkeit (thermische Behaglichkeit und Gesundheit) auseinander und formulieren Wunschvorstellungen, welche Zielfunktionen die Gebäude einhalten sollen. Zusammengefasst sind Heizen plus Kühlen plus Feuchte plus Lüftung die Grundfunktionen der Klimatechnik.

Michael Korte: Ob Klimatisieren das neue Heizen wird, hängt von planerischen, wirtschaftlichen und ökologischen Faktoren ab. In der „DDScad“- Entwicklung befassen wir uns häufig mit diversen Berechnungen und sehen bereits einen Unterschied in der Auslegung von Klimaanlagen und Heizungs­systemen. Die dynamische Dimensionierung von Klimageräten liefert ein realistischeres Bild für die Lasten eines Gebäudes. Zudem hat eine Klimatisierung den Vorteil, dass über Feuchte und Volumenstrom ein ergänzender Einfluss auf die thermische Behaglichkeit genommen werden kann. Zusätzlich stellt hier präzise Mess- und Regelungstechnik eine fortwährend hohe Raumluftqualität sicher. Darum ist die Klimatisierung dem klassischen Heizen bei bestimmten Gebäudetypen, wie etwa solchen mit gemischter Nutzung, bereits jetzt überlegen.

„Wir sind oft selektiv unterwegs“, Prof. Dr.-Ing. Christian Fieberg, Professur für Gebäudetechnik, Westfälische Hochschule Gelsenkirchen Bocholt Recklinghausen.
Quelle: Westf. Hochschule/WHS
„Wir sind oft selektiv unterwegs“, Prof. Dr.-Ing. Christian Fieberg, Professur für Gebäudetechnik, Westfälische Hochschule Gelsenkirchen Bocholt Recklinghausen.

2. Welche Aspekte kommen Ihrer Ansicht nach in den aktuellen Diskussionen rund um ein behagliches und gesundes Raumklima zu kurz oder werden gar vernachlässigt?

Prof. Dr.-Ing. Christian Fieberg: Wir sind oft selektiv unterwegs. Nach der Energieeffizienz kam der Virenschutz und nun die Frage nach CO2 und Behaglichkeit. Was zu kurz kommt, ist die Verknüpfung der Bereiche. Thermische Behaglichkeit darf nicht zu Lasten von Virenschutz und Energiebedarf betrachtet werden. Andererseits ist Energiesparen kein Selbstzweck und die Gebäude müssen die Nutzerbedürfnisse erfüllen. Das bekannte magische Dreieck im Projektmanagement (Zeit – Kosten – Qualität) greift auch hier: (Planungs-)Aufwand – Energieeffizienz – Behaglichkeit.

Claus Händel: Die sommerlichen Aspekte der Kühlung sind schon heute bei den Nutzern präsent. Bei Bedarf wird das Gebäude mit entsprechender Technik ausgestattet oder nachgerüstet. Bei den verordnungsrechtlichen Rahmenbedingungen und bei vielen Planern wird leider immer noch so gearbeitet, als ob Kühlung in Deutschland nicht notwendig sei. Das hat oft unzureichende Vorgaben bei der Planung zur Folge. Lüftung mit Außenluft (Frischluftversorgung) ist spätestens seit Corona stärker im Bewusstsein. Die energetischen Konsequenzen daraus können eigentlich nur mit Lüftungsanlagen mit Wärmerückgewinnung richtig gelöst werden. Das ist noch längst nicht bei allen angekommen. Die Aspekte der Raumluftfeuchtigkeit sind aus gesundheitlichen Gründen genauso wichtig. Sie spielen aber derzeit kaum eine Rolle im Planungsprozess.

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