Vier Fragen – Sechs Meinungen (Teil 1)

Interviews

Stimmen aus der Branche - Teil 1 mit: Prof. Dr.-Ing. Christian Fieberg, Professur für Gebäudetechnik, Westfälische Hochschule Gelsenkirchen Bocholt Recklinghausen / Claus Händel, Geschäftsführer Technik, Fachverband Gebäude-Klima e.V., FGK, Bietigheim-Bissingen / Michael Korte, Produktentwicklung „DDScad“, Graphisoft Building Systems, Ascheberg

1. Die Heizungs-Journal Verlags-GmbH wird im September 2022 die erste Ausgabe „KlimaJournal“ herausgeben und damit den Themenkomplex „Raumluftqualität und Gebäudeklima“ publizistisch stärken. Wie lautet Ihre Meinung zur (bewusst provokativen) Aussage „Klimatisieren wird das neue Heizen“?

Prof. Dr.-Ing. Christian Fieberg: Der Klimawandel und die Erderwärmung finden auch in Deutschland statt. Schon jetzt werden regelmäßig die Auslegungstemperaturen für Heizungen heraufgesetzt. Damit werden zukünftige Heizungen kleiner. Parallel steigen die sommerlichen Temperaturen und die Anzahl von tropischen Nächten. Darüber hinaus werden vereinzelte Hitzetage mit sehr hohen Temperaturen (bis zu 40 °C) auftreten. Dagegen hilft im Bestand die Nachrüstung von Kühlsystemen (meist in Form von Split-Geräten). In Neubauten wird die Frage nach Kühlung zunehmen. Hier sollte zukünftig auch eine aktive oder nachrüstbare Kühlung vorgesehen werden. Das passiert sicherlich nicht sofort und flächendeckend. Dennoch ist ein klarer Trend zu Kühllösungen sichtbar. Nichtwohngebäude, insbesondere Bürogebäude, werden eher starten als Wohngebäude.

Claus Händel: Diskussionen um die Gesundheit und den Klimaschutz, aber auch die heute schon spürbaren Auswirkungen des Klimawandels führen dazu, dass es nicht mehr nur darum geht, eine Raumtemperatur im Heizfall sicherzustellen. Die Nutzer und potentiellen Bauherren setzen sich ergänzend mit Aspekten der sommerlichen Temperaturen (Kühlung), der Raumluftqualität (Mindestlüftungsraten, Schimmelvermeidung, Feinstaub und Luftfilterung) und der sommerlichen wie winterlichen Raumluftfeuchtigkeit (thermische Behaglichkeit und Gesundheit) auseinander und formulieren Wunschvorstellungen, welche Zielfunktionen die Gebäude einhalten sollen. Zusammengefasst sind Heizen plus Kühlen plus Feuchte plus Lüftung die Grundfunktionen der Klimatechnik.

Michael Korte: Ob Klimatisieren das neue Heizen wird, hängt von planerischen, wirtschaftlichen und ökologischen Faktoren ab. In der „DDScad“- Entwicklung befassen wir uns häufig mit diversen Berechnungen und sehen bereits einen Unterschied in der Auslegung von Klimaanlagen und Heizungs­systemen. Die dynamische Dimensionierung von Klimageräten liefert ein realistischeres Bild für die Lasten eines Gebäudes. Zudem hat eine Klimatisierung den Vorteil, dass über Feuchte und Volumenstrom ein ergänzender Einfluss auf die thermische Behaglichkeit genommen werden kann. Zusätzlich stellt hier präzise Mess- und Regelungstechnik eine fortwährend hohe Raumluftqualität sicher. Darum ist die Klimatisierung dem klassischen Heizen bei bestimmten Gebäudetypen, wie etwa solchen mit gemischter Nutzung, bereits jetzt überlegen.

2. Welche Aspekte kommen Ihrer Ansicht nach in den aktuellen Diskussionen rund um ein behagliches und gesundes Raumklima zu kurz oder werden gar vernachlässigt?

Prof. Dr.-Ing. Christian Fieberg: Wir sind oft selektiv unterwegs. Nach der Energieeffizienz kam der Virenschutz und nun die Frage nach CO!SUB(2)SUB! und Behaglichkeit. Was zu kurz kommt, ist die Verknüpfung der Bereiche. Thermische Behaglichkeit darf nicht zu Lasten von Virenschutz und Energiebedarf betrachtet werden. Andererseits ist Energiesparen kein Selbstzweck und die Gebäude müssen die Nutzerbedürfnisse erfüllen. Das bekannte magische Dreieck im Projektmanagement (Zeit – Kosten – Qualität) greift auch hier: (Planungs-)Aufwand – Energieeffizienz – Behaglichkeit.

Claus Händel: Die sommerlichen Aspekte der Kühlung sind schon heute bei den Nutzern präsent. Bei Bedarf wird das Gebäude mit entsprechender Technik ausgestattet oder nachgerüstet. Bei den verordnungsrechtlichen Rahmenbedingungen und bei vielen Planern wird leider immer noch so gearbeitet, als ob Kühlung in Deutschland nicht notwendig sei. Das hat oft unzureichende Vorgaben bei der Planung zur Folge. Lüftung mit Außenluft (Frischluftversorgung) ist spätestens seit Corona stärker im Bewusstsein. Die energetischen Konsequenzen daraus können eigentlich nur mit Lüftungsanlagen mit Wärmerückgewinnung richtig gelöst werden. Das ist noch längst nicht bei allen angekommen. Die Aspekte der Raumluftfeuchtigkeit sind aus gesundheitlichen Gründen genauso wichtig. Sie spielen aber derzeit kaum eine Rolle im Planungsprozess.

Michael Korte: Zu selten wird diskutiert, was die Forderung nach dichten Gebäudehüllen mit sich bringt: Die notwendige Reduktion von Wärmeverlusten erfordert zusätzliche technische Maßnahmen, die wiederum eine Herausforderung hinsichtlich Umsetzbarkeit, Wirtschaftlichkeit und thermischer Behaglichkeit darstellen. Eine Diskussion über die Ausgewogenheit aller Maßnahmen kann neue Möglichkeiten und Regelungen eröffnen. Ein weiteres Thema ist der Schallschutz in der Klimatisierung: Dauerschallpegel können ein ernstzunehmender Stressfaktor sein. Insbesondere die Klimatisierung von Schlafräumen ist eine Herausforderung. Auch Anlagen der Raumlufttechnik müssen schalltechnisch korrekt geplant und ausgeführt werden. Hier kann ein Schallschutzgutachten dem Planer wertvolle Informationen zu den einzuhaltenden Werten liefern.

3. Zu welchen Inhalten wünschen Sie sich weitere vertiefte oder besonders ausführliche Informationen in künftigen Ausgaben des „KlimaJournals“? Bitte mit kurzer Begründung.

Prof. Dr.-Ing. Christian Fieberg: ▪ Beiträge zu lokalen Auswirkungen des Klimawandels, um ein Bewusstsein zu schaffen, dass auch wir Lösungen finden und Beitrage leisten müssen. ▪ Thermischer Komfort mit innovativen Systemen: Persönliche Kühlung, instationäre Luftführung im Raum (vergleiche „Bauer-Lüftung“: Volumenstrom und Zulufttemperatur variieren zeitlich und gegenläufig. Das ist so in der Normung nicht berücksichtigt.), um Raum für neue Ideen zu geben. Planer hängen (zu) lange an alten Lösungen. ▪ Nachhaltige Kühllösungen – ohne Kältemittel mit hohem Treibhauspotential (Global Warming Potential, GWP) oder anderen Einschränkungen (Brennbarkeit, Giftigkeit, …)

Claus Händel: ▪ Alle im Bau und in der Planung agierenden Personen brauchen tiefergehende Informationen zu allen Bereichen der Innenraumqualität und den Wechselwirkungen dazu. Das Ignorieren wichtiger Parameter führt dazu, dass Gebäude gebaut werden, die die Anforderungen der Nutzer nicht erfüllen. ▪ Aufgrund der Nutzerreaktionen müssen dann viele Anlagen nachgerüstet werden – meist mit zusätzlichen Kosten und geringerer Effizienz. ▪ Leider ist die Minimierung des Heizenergiebedarfs immer noch die primäre Planungsgröße, oft auf Kosten der Lüftung und der sommerlichen Temperaturen. Das darf zukünftig nicht mehr passieren.

Michael Korte:

▪ Wünschenswert wären Referenzprojekte mit Augenmerk auf die softwaregestützte Planung, weil in diesem Bereich sowohl konventionelle als auch außergewöhnliche Projektplanungen als Inspiration und Hilfestellung für die Umsetzung künftiger Projekte dienen können. ▪ Weiterhin stellen Schwerpunktthemen wie der bereits erwähnte Schallpegel interessante Felder dar. Damit ließe sich der Fokus auf zu selten diskutierte Themen lenken, so dass diese mehr in das Bewusstsein der Fachwelt rücken. ▪ Des Weiteren sind Hinweise zu Produktinnovationen wünschenswert, um den Entwicklungen der Branche folgen zu können und sich auf dem neuesten Stand zu halten. ▪ Hilfreich wären auch Artikel über Normen und Richtlinien sowie Kommentare für das Verständnis von Regelwerken und deren Anwendung.

Mit welchen Ansätzen/(Zukunfts-)Technologien rund um die Raumluft- und Klimatechnik in Gebäuden beschäftigen Sie sich derzeit, beziehungsweise wo finden sich gegebenenfalls konkrete Anknüpfungspunkte?

Prof. Dr.-Ing. Christian Fieberg: ▪ Nutzung von virtueller Realität, kurz VR, mit Bauwerksdatenmodellierung (Building Information Modeling, BIM): Bidirektionale Verknüpfung von Modell und VR-Welt ▪ Nutzen von Raumluftreinigern: Einsatzbereiche und Aufstellungshinweise ▪ Beitrag des Gebäudesektors zur Energiewende – Potential und Möglichkeiten

Claus Händel: Der Fachverband Gebäude-Klima e.V. beschäftigt sich mit allen Größen und Technologien der „Raumklimawirkung“. Er bietet ergänzende Informationen zu Planung, Komponenten und Systemen. Gleichzeitig versucht er, die Themen der Innenraumqualität ganzheitlich in den Verordnungen und Zielfunktionen zur Planung (zum Beispiel in Normen, Richtlinien und Verbandsempfehlungen) abzubilden. In Regelwerken der Europäischen Union sind die Ziele schon heute weitreichender gefasst. Im aktuellen Entwurf zur EU-Richtlinie über die Gesamteffizienz von Gebäuden werden die Mitgliedstaaten aufgefordert, bei der Innenraumqualität (Indoor Environment Quality – IEQ) Mindestanforderungen zu stellen und für eine bessere Nutzerinformation zu sorgen. Aus Sicht der Kunden müssen Gebäude jedenfalls alle Parameter der IEQ erfüllen können, die er sich wünscht.

Michael Korte: Anknüpfungspunkte liegen in unserer Software „DDScad“ zur Planung und Modellierung von kleinen, mittleren und großen Lüftungs-/Klimaanlagen. Ihre Stärken liegen dabei unter anderem in der gewerkeübergreifenden, intelligenten Vernetzung aller Planungsbereiche und vereinfachten Arbeitsabläufen durch automatische Prüfungen sowie Berechnungen. Hinzu kommt eine umfassende Open-BIM-Funktionalität, die einen hersteller- und softwareübergreifenden Datenaustausch bei der digitalen Methode „Building Information Modeling (BIM)“ ermöglicht. Bei der Projektberatung haben unsere Consultants „DDScad“-Anwender beispielsweise bei der Planung von Flusskühlung und Eisspeichern unterstützt. Spezialfälle wie diese und auch konventionelle Projekte begleiten wir in verschiedenen Leistungsphasen mit vielseitiger Unterstützung.

Mittwoch, 16.11.2022